Raoul Stoisavljevic

1887-1930

 

Raoul Stoisavljevic (kroatisch: Stojsavljević) wurde am 29. Juli 1887 in Innsbruck geboren. Sein Vater Mladen war ein ursprünglich aus Agram stammender Artillerieoffizier, der sich auf Garnison in Innsbruck befindlich in die Tirolerin Adelheid Hohenauer verliebte, diese ehelichte und sich letztlich in deren Heimat ansiedelte. Erst im Jahre 1906, als Mladen Stoisavljevic als Major pensioniert wurde, siedelte sich die Familie in Agram an. Nach dem erfolgreichen Besuch der Militärmittelschule absolvierte Raoul Stoisavljevic die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt. Von dieser wurde er am 18. August 1908 als Leutnant zum k.u.k. Feldjäger Bataillon Nr. 21 nach Bruck an der Mur ausgemustert.

Nach entsprechendem Kompaniedienst fungierte er in der Wintersaison 1911/12 bereits als Korpsschilehrer, da er, in den Tiroler Bergen aufgewachsen, ein ausgezeichneter Schifahrer war. Doch mehr als das Schifahren interessierte den jungen, sportlichen Offizier das Fliegen und so meldete er sich zur Fliegerausbildung. Die k.u.k. Luftfahrtruppe war gerade im Entstehen begriffen, das Fliegen „Schwerer als Luft“ steckte noch in den Kinderschuhen und war vorerst nur einer ganz kleinen, handverlesenen Elite aus Offizieren vorbehalten.

Am 14. April 1913 wurde Raoul Stoisavljevic zum Fliegerkurs nach Wiener Neustadt kommandiert, wo er am 1. Mai 1913 seine Beförderung zum Oberleutnant erhielt. Am 2. Juli 1913 erhielt er vom Österreichischen Aeroclub das Zivil-Pilotendiplom mit der laufenden Nummer 114. Am 14. Oktober 1913 machten die beiden jungen Piloten Oberleutnant Elsner und Oberleutnant Stoisavljevic Schlagzeilen als sie, als erstes österreichisch-ungarisches Flugzeug die Alpen überquerten. Ihre dreistündige Route führte sie von Wien nach Görz, Elsner als Pilot, Stoisavljevic als sein Navigator. Bereits am 27. April 1914 erfolgte seine Ernennung zum Feldpiloten, sodass Oberleutnant Raoul Stoisavljevic zum Kriegsausbruch einer der rund 70 ausgebildeten Piloten der k.u.k. Armee war.

Zu Kriegsbeginn ging Stoisavljevic mit der FliK 1 nach Galizien, wo er sich durch zahlreiche, oft weit hinter die feindlichen Linien führende, Aufklärungsflüge auszeichnete. Er wurde bereits am 11. September 1914 mit der Bronzenen Militär-Verdienstmedaille (Signum Laudis) am Bande für Kriegsverdienste ausgezeichnet.

Durch einen schadhaften Apparat und dichtem Schneetreiben zu einer Notlandung hinter den feindlichen Linien gezwungen, geriet er am 16. Februar 1915 in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er, zusammen mit einem deutschen Fliegeroffizier, bereits nach sechs Tagen entfliehen konnte. Da das Durchdringen der Frontlinie zu schwer und gefährlich war, versteckten sich die beiden solange in Lemberg, bis sie durch die Wiedereinnahme durch österreichisch-ungarische Truppen, quasi zusammen mit der Stadt, befreit wurden.

Am 27. Mai 1915 erhielt Oberleutnant Stoisavljevic das preußische Eiserne Kreuz 2. Klasse verliehen. Als Chefpilot der FliK 13 wurde er am 19. Juli 1915 abermals wegen „tapferen Verhaltens als Flieger vor dem Feind“ ausgezeichnet und zwar mit dem Militär-Verdienstkreuz 3. Klasse mit Kriegsdekoration. Nach Einführung der „Schwerter“ erhielt er diese selbstverständlich rückwirkend für alle seine Auszeichnungen. Am 24. August 1916 wurde Raoul Stoisavljevic, mit dem Rang vom 1. September 1915, zum Hauptmann befördert. Nach einer kurzen Zuteilung zur FliK 17 an der Südtirol-Front, um die neuen Flugapparate zu studieren, kam er als Kommandant der FliK 16 aufs Flugfeld bei Villach. Hier fand er im Beobachter Leutnant der Reserve Josef Friedrich einen kongenialen Partner. Zusammen führte diese Flugzeugbesatzung nicht nur 70 wichtige Aufklärungsflüge entlang der Kärntner Front durch, sondern war auch in mehreren Luftkämpfen erfolgreich. Einige Bombereinsätze führten bis Mailand, Vincenza oder zu den Piavebrücken.

Hauptmann Stoisavljevic erhielt am 19. Juni 1916 den Orden der Eisernen Krone 3. Klasse mit Kriegsdekoration und Schwertern. Am 1. September 1916 konnte er, diesmal ausnahmsweise ohne Leutnant Friedrich, nach einem ungefähr zehnminütigen Luftkampf mit einem italienischen Farman, seinen vierten Luftsieg verbuchen. Dies brachte ihm eine zweimonatige Zuteilung zur FliK 34 zur Ausbildung als Jagdflieger am Brandenburg KD Einsitzer. Bereits während dieser Ausbildung konnte Raoul Stoisavljevic am 13. Februar 1917 über dem Doberdoplateau seinen fünften bestätigten Luftsieg erringen. Jetzt galt er nach den damaligen internationalen Regeln offiziell als „Flieger-As“.

Zur Vervollkommnung seiner Fähigkeiten als Jagdflieger wurde Hauptmann Stoisavljevic im Sommer 1917 an die Westfront zur deutschen Jasta 6 transferiert, wo er in Folge mit dem preußischen Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet wurde. Zurück bei seiner FliK 16, die mittlerweile auf dem Flugfeld in Feltre stationiert war, entwickelte er neben seinen anderen Tätigkeiten die Idee, ein einsitziges Jagdflugzeug mit einer schnellen Serienbild-Kamera auszurüsten, um so schneller Aufklärungsflüge durchführen zu können. Die vergleichsweise langsamen Foto-Zweisitzer waren bei ihren gefährlichen Missionen über feindlichen Frontlinien höchst abschussgefährdet.

Bereits am 21. November 1917 erfolgte in der Nähe von Feltre sein zehnter Abschuss. Hauptmann Stoisavlejvic war nun in den international auch sehr kleinen und exklusiven Kreis der Flieger mit „Doppel-As“ Status aufgestiegen. Die Verleihung des Ritterkreuzes der Leopold-Ordens mit Kriegsdekoration und Schwertern Anfang 1918 war auch ein sichtbares Zeichen seiner hervorragenden Fähigkeiten als Offizier und Flieger.

Am 12. Jänner 1918 sah er sich bei einem Begleitflug unvermutet überlegenen feindlichen Flugzeugen gegenüber. Im harten Luftkampf wurde Stoisavljevics Apparat von Projektilen nur so durchlöchert. Es gelang ihm zu entfliehen, aber sein Oberschenkelknochen wurde durch einen Schuss zertrümmert. Trotz Schmerzen und Blutverlust konnte er im Val Stizzone hinter den eigenen Linien notlanden. Für diese Leistung wurde ihm am 16. April 1918 die Goldene Tapferkeitsmedaille für Offiziere verliehen.

Die Heilung gestaltete sich schwierig, er weigerte sich verzweifelt gegen die von den Ärzten angeratene, total Amputation und obwohl ihm selbst die wohlgesinnten Mediziner kaum eine Chance einräumten, jemals wieder richtig gehen zu können, gelang das Wunder. Mit eisernem Willen, zahllosen Operationen und regelmäßigem Training, selbst unter großen Schmerzen, gelang es Raoul Stoisavlejevic, den die Kameraden nicht umsonst den „Eisernen Stoi“ nannten, bis Oktober 1918 wieder gehen zu können. Am 15. Oktober 1918 wurde er zum Kommandanten der Offiziers-Fliegerschule in Wiener Neustadt ernannt.

Obwohl ihn zahlreichen Fliegerkameraden, darunter kein geringerer als Generalmajor Uzelac, bestürmten doch für den neugegründeten SHS-Staat zu optieren, entschied sich Raoul Stoisavljevic die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen und bei der Volkswehr zu dienen. Da es mit einer deutsch-österreichischen Fliegertruppe rasch vorbei war, wechselte er zur Flugpolizei nach Fischamend um schließlich, keine Aufstiegschancen sehend, im Jahre 1921 seinen Dienst zu quittieren.

Raoul Stoisavljevic kaufte sich ein Flugzeug und errichtete eine private Fluglinie zwischen Wien und Budapest und bildete Flugschüler aus. Dieses zukunftsträchtige Unternehmen wurde leider durch die Kommission der Siegermächte und ihr totales Flugverbot zunichte gemacht. Im Jahre 1922 trat Stoisavljevic wieder, diesmal im Range eines Majors, ins österreichische Bundesheer ein und fand Verwendung beim Alpenjägerregiment 12. Mit seiner Frau Dina, geborene Polaczek, und seinem Sohn konnte er sich nun in seiner Heimatstadt Innsbruck niederlassen.

Seine Beinverletzung machte ihm allerdings auf Dauer den anstrengenden Dienst in den Bergen unmöglich und so verlies er den Militärdienst endgültig im Jahre 1925. Raoul Stoisavljevic, der sich schon früher massiv für die Errichtung eines eigenen zivilen Flugfeldes in Innsbruck stark gemacht hatte, übernahm also jetzt am neueröffneten Flughafen Innsbruck-Reichenau die Leitung der regelmäßigen Linie Innsbruck-München.

Nebenbei war er als Fluglehrer tätig und setzte sich auch aktiv für den beginnenden Transportflug in besonderer Höhe, was gerade für die Alpenländer wichtig schien, ein. Bei einem dieser Flüge wurde er 1927 neuerlich verletzt, konnte aber wieder ganz hergestellt werden. Im Jahre 1928 wurde er Linienpilot der ÖLAG, der größten kommerziellen Fluglinie Österreichs. Mit einer deren Maschinen, einer Junkers F-13 mit der Kennung „A-3“, ereilte ihm am 2. September 1930 das Fliegerschicksal.

Bei einem Dienstflug von Innsbruck nach Zürich geriet er in den Bergen in dichten Nebel. Zwei Tage später wurde die zerschellte Maschine am Krottenkopfmassiv nördlich von Garmisch-Partenkirchen gefunden und die verkohlte Leiche geborgen. Am 10. September 1930 wurde Raoul Stoisavlejvic unter Anteilnahme zahlreicher Freunde und Kameraden am Innsbrucker Westfriedhof beerdigt.

© Jörg C. Steiner, Wien

 

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