Heinrich Odoaker Range (Rappaport) 1898-1945(?) |
Der Mann mit diesem so „germanischen“ Namen wurde am 25. März 1898 in Wien als Heinz Rappaport geboren und war Mitglied der, wie man es damals amtlicherseits nannte, „mosaischen“ Religionsgemeinschaft. Gleich von der Schulbank weg, nach Ablegung der Kriegsmatura, meldete sich Heinz Rappaport freiwillig und wurde als Offiziersanwärter zum Landwehr-Infanterie-Regiment „Wien“ Nr. 1 eingeteilt. Nach erfolgreicher Absolvierung der Offiziersschule in Bruck an der Leitha und der Beförderung zum Fähnrich der Reserve wurde er im November 1916 zum Schützen Regiment „Pisek“ Nr. 28, die Landwehr-Infanterie-Regimenter waren im Zuge einer kriegsbedingten Umstrukturierung alle in Schützen-Regimenter umbenannt worden, transferiert. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin wurde er als Einzelreisender im Jänner 1917 an die Front transferiert, wo er mit diesem Regiment erst in Russland, dann während der 11. und 12. Isonzo-Schlacht und schließlich in Südtirol eingesetzt war. Rappaport fühlte sich in diesem Regiment äußerst unwohl und ständig zurückgesetzt. Einmal schrieb er: „Einer ganzen Reihe von Waffentaten wegen wurde ich vom Regiment sukzessive eingegeben ... zur bronzenen, zur kleinen silbernen, zur großen silbernen Tapferkeitsmedaille ... doch alle diese Auszeichnungen habe ich nicht erhalten. Wie mir später mitgeteilt wurde, zog das Regiment, das mich offiziell eingegeben hatte, diese Eingaben inoffiziell wieder zurück. Dies kann seinen Grund wohl nur darin gehabt haben, dass die Tschechen uns Wiener damals unfreundlich gesinnt waren.“ Vielleicht gab es auch noch andere Gründe, vielleicht mochten sie den schlanken, blassen Jüngling, der gerne Gedichte schrieb nicht oder es war schon Antisemitismus im Spiel. Im August des Jahres 1936 schildert Dr. Range die Umstände, die zur Verleihung der Goldenen Tapferkeitsmedaille an ihn führten, für das geplante, aber niemals erschienene Buch des „Rings der Goldenen Tapferkeitsmedaille“ wie folgt: „Anfangs November 1917 – das Regiment lag in der Assaschlucht – wurde von oben der Befehl erteilt, das Regiment habe sich genaue Informationen über den Stand des Feindes zu verschaffen. Ich wurde als Aufklärungspatrouille kommandiert, mit einem Schwarm und folgender Annahme nach Süden entsandt: Das Terrain bis mindestens 15 km südlich Asiago von den Italienern geräumt, die feindliche Artillerie stehe auf den dritten und vierten Höhenzügen südwärts... Unter ungewöhnlich heftigem Artillerie- und MG-Feuer, welches sogleich einsetzte, als ich die Assasperre verließ, legte ich die Strecke Assaschlucht-Camporovere-Asiago zurück. Wohl des heftigen Feuers wegen erklärten sich unterwegs sechs oder sieben von den Plänklern meiner Patrouille für marode (Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Bauchschmerzen etc.); ich erlaubte allen diesen, sofort zum Regiment zurückzukehren und gab ihnen schriftliche Nachrichten für das Kommando mit; so blieb ich mit einem Egerländer Zugsführer und einem einzigen Mann alleine. Dass die mir erteilte Annahme über den Stand der feindlichen Artillerie falsch war, hatte ich sofort erkannt, da der Geschützrauch deutlich zeigte, dass schon die ersten Höhenzüge südwärts von Artillerie besetzt waren. Die teilweise vorhandene Laubmaskierung schien ziemlich frisch. Nichtsdestoweniger stieß ich vollkommen überraschend mitten in Asiago auf die feindliche Infanteriehauptstellung. Die ersten vier Italiener rechts und links von der Straßenkreuzung kapitulierten trotz eingelegter Schussbereiter Gewehre vor meiner Pistole und kamen über meinen Zuruf mit ‚Hände hoch’ zu mir herausgelaufen. Ich verstand durch mein sicheres Auftreten hiebei und in der Folge offenbar vorzutäuschen, dass ich nur die Vorpatrouille einer starken Formation sei, die hinter mir nachfolgte. Nun begann ich mit meinem Zugsführer die Schwarmlinie nach beiden Seiten hin aufzurollen; das Ergebnis war, dass wir noch weitere zehn Italiener, darunter zwei Offiziere, gefangen nahmen und außerdem zwei italienische M.G. erbeuteten, die meine Gefangenen tragen mussten. Die Gefangenen machte ich hauptsächlich um der Division vollste Aufklärung über die Absichten des Feindes zu verschaffen. Der Rückzug zum Regiment erfolgte selbstredend im Laufschritt. Das Rückfeuer, welches wir hiebei erhielten, muss als geradezu mörderisch bezeichnet werden. Ich wurde bei dieser Exkursion nicht weniger als fünfmal in Granattrichtern verschüttet, konnte mich jedoch immer wieder ausgraben und war bis auf verhältnismäßig harmlose Steinschlagfolgen unverletzt; dagegen wurden zwei gefangene Italiener durch Sprengstücke nicht unerheblich verletzt. Durch die Auskünfte der Gefangenen vermochte die Division äußerst nützliche Informationen über Stand und Absichten des Feindes zu erzielen. Meine Aufklärungsaktion war es, die uns instand setzte, erfolgreiche Sturmangriffe über Asiago, Monte Sisemol südwärts zu unternehmen! Erwähnt sei noch, dass ich damals Bataillonsadjutant war und, dass der Egerländer Zugsführer, den ich in Kenntnis der Tatsache, dass ich wegen dieser Waffentat für die Goldene Tapferkeitsmedaille eingegeben worden war, gleichfalls für die Goldene Tapferkeitsmedaille eingab, nur die kleine silberne Tapferkeitsmedaille erhielt.“ Keine zwei Wochen nach dieser Waffentat wurde Fähnrich Rappaport bei den Kämpfen um den Monte Sismol schwer verwundet. Insgesamt erhielt er vier Schussverletzungen, zwei in den Rücken und zwei ins Gesicht, was letztendlich zum Verlust seines linken Auges führte. Die Goldene Tapferkeitsmedaille wurde ihm daher auch erst im Wiener Kriegsspital Grinzing im Jänner 1918 durch den Spitalsleiter, Oberstabsarzt Prof. Dr. Durig, ausgehändigt. Nach dem Krieg ging es Leutnant Rappaport auch nicht besser, im Jahre 1919 fand er einige Monate Anstellung bei der Hauptanstalt für Sachdemobilisierung, doch auch hier waren die Kollegen angeblich gegen ihn eingestellt. Während er zuerst Jus, dann Wirtschaft an der Exportakademie, Medizin und wieder Jus studierte, schien sich in ihm die Erkenntnis zu festigen, dass alle seine Probleme möglicherweise mit seiner jüdischen Herkunft zusammenhängen könnten. Laut den Unterlagen der Wiener Kultusgemeinde trat er am 26. März 1920 dort aus um kurz darauf der alt-katholischen Glaubensgemeinschaft beizutreten. Die Gemeinschaft der Altkatholiken sind, sehr vereinfacht, eine Abspaltung der römisch-katholischen Kirche, die die im 19. Jahrhundert erfundene „Unfehlbarkeit“ des Papstes nicht anerkennen wollte, sich aber sonst, von einigen wenigen Punkten abgesehen, kaum von dieser Kirche unterschied. Im zutiefst römisch-katholischen Österreich der Zwischenkriegszeit eine gesellschaftlich besser akzeptierte Wahl, als zum Beispiel die Konvertierung zum Protestantismus, wie er damals zum einen von Sozialdemokraten, zum anderen von Deutschnationalen oft praktiziert wurde; der Antiklerikalismus einte diese sonst diametralen Lager. Heinz Rappaport begann 1923 mit der langjährigen Ausbildung und der Vorbereitungspraxis zum Rechtsanwaltsberuf. Da der Name Rappaport allgemein als „jüdisch“ eingestuft wurde, änderte er mit 7. Jänner 1924 seinen Namen in „Heinrich Odoaker Range“. Im Jahre 1930 konnte Dr. Range nun endlich seine Rechtsanwaltspraxis in der Wiener Innenstadt errichten. Obwohl er natürlich nicht wissen konnte was die Zukunft brachte, war seine „Tarnung“ nun nahezu perfekt. Als die Nazis die Macht in Österreich übernahmen fanden sie einen blonden, kriegsversehrten Träger der höchsten Tapferkeitsauszeichnung vor, der zwar gelegentlich in der Vergangenheit Positives über Bundeskanzler Dollfuß geschrieben hatte, der aber in seiner Weltanschauung eindeutig stramm deutschnational war, wie offensichtlich auch sein Elternhaus, wer würde seinen Sohn schon „Heinrich Odoaker“ nennen! Außerdem vertrat er mit seiner Kanzlei häufig Kriegervereine oder Kriegsversehrte „pro bono“, was in Kameradenkreisen allgemein bekannt war. Langer Rede, kurzer Sinn es geschah einfach nichts. Dr. Range blieb, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im März 1938, völlig unbehelligt. Er blieb ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft, seine Rechtsanwaltskanzlei ging sogar besser als vorher, da nun nach und nach die körperlich tauglichen Juristen eingezogen wurden, während die politisch oder rassisch verfolgten das Land verließen oder verhaftet wurden. Natürlich bezog er auch weiterhin die Tapferkeitsmedaillenzulage. Den wenigen verfügbaren Unterlagen zur Folge ging dies offenbar bis 1944 gut. Im letzten erschienenen Verzeichnis, dem amtlichen Wiener Telefonbuch Ausgabe 1944, erschien sogar noch eine bezahlte Werbung für seine Rechtsanwaltskanzlei! Danach verliert sich die Spur von Dr. Range, im nächsten Adressbuch von Wien, Ausgabe 1948, findet sich keinerlei Hinweis mehr, weder auf Dr. Range noch auf seine Kanzlei. Was war geschehen? Kamen die Nazis hinter sein Geheimnis und rächten sich noch in den letzten Kriegstagen, fiel er einem der vielen schweren Bombenangriffen zum Opfer und landete in einem namenlosen Massengrab oder war er eines der zahllosen, bis heute nicht gesühnten Opfer der Sowjetischen Armee, die zu tausenden willkürlich ermordet oder verschleppt worden sind? Wir werden es wohl niemals wissen... © Jörg C. Steiner, Wien |